Was ist die Perspektive?
Im Jahre 1436 schrieb der italienische Künstler und Universalgelehrte Leon Batista Alberti den Traktat "De Pittura" (über die Malkunst). Darin enthalten ist die erste theoretische Abhandlung der Neuzeit über die Perspektive. Alberti beschreibt, dass die Perspektive einem "Fensterdurchblick" vergleichbar sei. Ein perspektivisches Bild ist wie das Abbild eines Schnittes durch die Sehpyramide. Die Spitze dieser Sehpyramide liegt dabei im Auge, von dem aus sich der Blick pyramidenförmig auf die Welt richtet. Schon die Griechen und Römer kannten eine perspektivische Konstruktion ("Winkelperspektive"), was man in alten Wandmalereien ersehen kann, bei denen es um eine angedeutete Raumillusion ging.
Die Perspektive ist eine künstlerisches (technisches) Konstruktionsverfahren, das dazu dient, unsere dreidimensionale Seherfahrung auf einem zweidimensionalen Bildträger zu illusionieren. Die Perspektive bezieht sich dabei stets auf das gesamte Bild, nicht nur auf die Verkürzungen einzelner Bildteile. Neben der hier behandelten (Zentral-)Perspektive gibt es weitere Verfahren, siehe Parallelperspektive.
Neben Alberti waren viele andere Künstler wie Filippo Brunelleschi, Piero della Francesca oder Albrecht Dürer Vorreiter auf dem Gebiet der Perspektive. Mehr dazu im zweiten Teil über die Historie der Perspektive als künstlerische Form. Hier die Überschriften dieses Artikels:
- Das Auge - Sehen und Sehstrahlen
- Die Horizont-Linie
- Der Fluchtpunkt der Zentralperspektive
- Eine perspektivische Zeichnung anlegen
- Die Eroberung des Raumes
- Vogelperspektive und Froschperspektive
Mit Hilfe der Perspektive kann man Bilder malen oder zeichnen, die dem ähneln, was unser menschliches Auge sieht. Die Kenntnis des perspektiven Zeichnens ist somit die Grundlage für realistisches Zeichnen und Malen.
Das Auge
Um zu verstehen, wie Perspektive funktioniert, muss man sich zunächst klar machen, wie das menschliche Sehen funktioniert. Nehmen wir zunächst der Einfachhheit halber an, man hätte nur ein Auge (so wie ein Zyklop). Alle visuellen Informationen dieser Welt würden dann durch die Linse (Pupille) ins Auge eindringen. Auf der Rückseite der Netzhaut entsteht so ein spiegelverkehrtes Abbild der visuellen Welt. Dieses Abbild wird von Photorezeptoren in elektrische Impulse umgewandelt, um im Gehrin weiterverarbeitet werden zu können. Aber das ist ein anderes Thema (einige Ölbilder dazu).
Entscheidend an dieser Einleitung ist folgendes: das Licht, das von den Gegenständen reflektiert wird, fällt als kerzengerade Lichtstrahlen in unser Auge. Nicht schief und krumm, sondern kerzengerade!
Diese geraden Linien, die aus der Tiefe des Raumes in unser Auge treffen, werden bei der perspektivischen Konstruktion simuliert bzw. als Hilfslinien gezeichnet.
Das Sehen an sich ist zwar noch etwas komplizierter, vor allem, wenn man bedenkt, dass wir zwei Augen haben, die nebeneinander sitzen. Dieses " stereokopische Sehen" (aus zwei leicht verschiedenen Perspektiven) ermöglicht es uns, die Welt räumlich zu sehen. (Btw: das ist auch der Grund, warum man doppelt sieht, wenn man betrunken ist). Aber das ist eigentlich hier nicht wichtig, denn die perspektivische Konstruktion simuliert immer den Eindruck, den ein Auge hat. Mehr über: Wie funktioniert das Auge?
Die Horizont-Linie
Unsere Erde ist zwar eine Kugel, aber dennoch so groß, dass der Horizont des Meeres immer wie eine gerade Linie aussieht. Zumindest so lange wir uns auf der Erde bewegen (was ein bodenständiger Künstler ja tut). Da wo Hügel oder Berge oder Bäume diesen Horizont verdecken, muss man ihn sich denken.
Die Horizont-Linie ist diejenige Linie, die den Boden, auf dem wir stehen, visuell beendet. Alle Prinzipien der Konstruktion, die mit dem Fussboden zu tun haben, enden in der Horizontlinie. Man kann es auch so formulieren: der Boden ist der zweidimensionale Untergrund, und alles, was wir dreidimensional zeichnen wollen, muss irgendwie in Bezug zu diesem Untergrund stehen. Bevor wir also in den Raum gehen, müssen wir erst mal den Grund kontrollieren können.
Der Fluchtpunkt
Wenn man nun von seinem aktuelle Standpunkt aus geradeaus schaut, dann ist der Punkt, an dem diese Blickachse auf den Horizont trifft, der Fluchtpunkt der Zentralperspektive. Parallele Linien laufen im Raum immer auf einen gemeinsamen Fluchtpunkt zu. Siehe auch Fluchtpunktperspektive: Erschaffung eines Bildraumes und Perspektive ohne Fluchtpunkt: Parallelperspektive.
Die Horizontlinie ist die Achse, auf der sich alle Fluchtpunkte befinden, die mit dem Untergrund zu tun haben. Da fast alles aufgrund der Schwerkraft irgendwie mit dem Fussboden in Verbindung steht, kommt diesem Grundverständnis eine enorme Wichtigkeit zu. Man könnte es auch flappsig formulieren: einen fliegenden Vogel braucht keinen Fluchtpunkt am Horizont - der folgt anderen Gesetzen.
Eine perspektivische Zeichnung anlegen
Das folgende Beispiel veranschaulicht das bisher Gesagte: die Fluchtlinien laufen aus der Tiefe auf den Fluchtpunkt zu - und der Abstand zueinander verbreitert sich. Zunächst einmal wird nur die Grundfläche auf dem Boden gezeichnet:
In Abbildung 4 sieht man, wie man die Fluchtlinien regelmäßig verteilen kann: einfach im Vordergrund Hilfspunkte einzeichnen, deren Abstände identisch sind. Damit haben wir die Grundfläche definiert.
Die Eroberung des Raumes
Wenn ein Körper nun dreidimensional erscheinen soll, dann muss man einfach die obere Begrenzung vorne einzeichnen, und von dort aus dann die Fluchtlinie zeichnen, um anschließend die hinter Begrenzung zu finden. Die folgende Abbildung veranschaulicht das:
Ma erkennt schon in den Skizzen, dass beim perspektivischen Zeichnen das Radiergummi eine große Rolle spielt. Für die Konstruktion sind zahlreiche Hilfslinien erforderlich, die das fertige Bild nicht braucht. Man muss sie also wegradieren (oder aus ästhetischen Gründen stehen lassen).
Zwei Fluchtpunkte für schräge Teile
Was aber nun, wenn der Gegenstand, den man perspektivisch zeichnen will, gar nicht parallel zum eigene Standlinie verläuft? Was ist, wenn man auf die Ecke bzw. vordere Kante eines rechteckigen Gegenstandes schaut? Dann gibt es dafür nicht einen, sondern zwei Fluchtpunkte. Erneut schauen wir uns zunächst nur den Grundriss, also den zweidimensionalen Boden an. Wenn man zwei Fluchtpunkte hat, braucht man links und rechts viel Platz für die Konstruktion der Fluchtlinien:
Tipp: Da man für die Kontruktion einer zwei-Fluchtunkt-Perspektive meist viel mehr Platz braucht als für das angestrebte Bild nötig ist, empfielt es sich, rechts und links zwei zusätzliche Papierbögen anzulegen und gg. mit kleinen Klebestreifen (auf der Rückseite) zu fixieren. Statt eines sehr langen Linieals kann man auch eine gerade (sauber gesägte) Holzleiste benutzen, die man in jedem Baumarkt bekommt.
Vogelperspektive und Froschperspektive
Auf welcher Höhe liegt der Horizont? Diese Frage hat einen erheblichen Einfluss auf die Wirkung eines Bildes. Man unterscheidet im Prinzip drei Formen der Perspektive:
- Normal: Horizont ungefähr in der Mitte des Bildes - Augenpunkt auf Höhe eine stehenden Menschen
- Froschperspektive: Horizont eher unten im Bild
- Vogelperspektive: Horizont eher oben im Bild
Und nun? Perspektivisch zeichnen von grob nach fein...
Und nun, wird sich manche(r) fragen? Einen einfachen Kasten zu konstruieren ist doch simpel, aber wie geht es, wenn man die Kathedrale von Rouen perspektivisch zeichnen möchte? Nun, im Prinzip genauso. Das Geheimnis ist, dass man diese Art der Kontruktion immer weiter verfeinern kann. Man kann weitere Kästen anbauen, oder Stücke abteilen. Angebaute Teile haben möglicherweise andere Fluchtpunkte, wenn sie nicht rechtwinklig zum Hauptkasten stehen und so weiter.
Zu guter Letzt sei noch erwähnt, dass es neben der perspektivischen Konstruktion (lineares Gerüst) noch weitere Möglichkeiten gibt, um auf einem flachen Bildträger eine Raumtiefe zu erzeugen. Dazu gehören die Farbperspektive wie auch die Luftperspektive.
Allen, die es versuchen: viel Spaß und Erfolg :-) Anregungen, Kritik und Fragen bitte hier.
Wer noch nicht das ideale Zeichenmaterial und -zubehör hat, findet auf dieser Seite gute Produkte und Anregungen. Durch schlechtes Material und Werkzeug macht man sich das Zeichnen unnötig schwer.
Mehr zum Thema Perspektive
Arbeitsblätter zum Thema Perspektive, die ich mit Schülern bearbeite:
- Aufgabe: Plastische Körper zeichnen
- Frührenaissance: Perspektive: Bild als Illusionsraum, Künstler
- Aufgabe: Grundlagen Zentralperspektive zeichnen
Weitere Artikel zum Thema Perspektive
- Fluchtpunktperspektive: Erschaffung eines Bildraumes
- Perspektive á la Albrecht Dürer: wie man eine Laute zeichnet
- Kunsthistorische Entwicklung der Perspektive
- Militärperspektive (Axonometrie) einfach erklärt
- Vogelperspektive und Froschperspektive
- Luftperspektive (Raumtiefe durch atmosphärische Unschärfe)
- Farbperspektive (Raumtiefe durch Farbwahl)
Eine perspektivische Kugel
Abschließend noch ein gänzlich unsinniges Unterfangen: eine perspektivische Koonstruktion einer Kugel. Das ist natürlich schon von Ansatz her unlogisch, weil eine Kugel weder Ecken noch Kanten hat. Man kann sie daher gar nicht perspektivisch konstruieren, zumindest wenn es um den Körper an sich geht. Ich habe es dennoch getan :-)
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